Liebe Parteifreunde und Freunde der Sozialdemokratie,
die am vergangenen Mittwoch im SPD-Landesvorstand gefällte Entscheidung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU war mit Sicherheit keine Leichte und niemand hat sie sich leicht gemacht. Wenn ich nicht selbst im Landesvorstand wäre, würde ich die getroffene Entscheidung vielleicht auch nur schwer verstehen können. Deshalb möchte ich im Folgenden versuchen, zumindest meine Beweggründe zu erklären.
Auch ich habe mich öffentlich dazu bekannt, dass mir ein rot-rot-grünes Bündnis für Thüringen spätestens nach der Bundestagswahl lieber gewesen wäre. Und ich weiß, dass der Wille bei der SPD und auch bei Christoph Matschie dafür ernsthaft da war, aber nicht um jeden Preis.
Wir Sozialdemokraten haben im Wahlkampf neben unseren vielen wichtigen inhaltlichen Schwerpunkten vor allem mit einer Aussage geworben: „Wir werden keinen Ministerpräsidenten der LINKEN wählen!“. Und es ist für mich eine ganz grundsätzliche Frage des Anstandes, dass die SPD auch nach der Wahl zu diesem Versprechen steht.
Die LINKE konnte bis zum Abschluss der Sondierungsgespräche nicht akzeptieren, dass dieses Versprechen für uns nicht verhandelbar ist.
Insgesamt ist das Ergebnis der Sondierungsgespräche am Ende für mich äußerst unerwartet ausgefallen.
Weder die LINKEN noch die Bündnis 90/ Die Grünen haben sich ernsthaft bemüht in den Sondierungsgesprächen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, was wichtig ist, wenn man dieses Land in den nächsten fünf, sicherlich nicht einfachen, Jahren regieren möchte. Wie soll ein stabiles Regierungsbündnis zustande kommen, wenn von den drei Partnern, die Einen nicht so richtig wollen und die Anderen sich nicht an Absprachen halten, den Verhandlungspartner hintergehen und in der Öffentlichkeit anders auftreten als in den Beratungen? Zum Beispiel sollte über Personalfragen erst dann beraten werden, wenn Einigung über die Sachthemen erzielt wurde. Das war von uns gefordert und so abgestimmt. Daran gehalten hat sich die LINKE nicht, insbesondere ihr Spitzenkandidat Bodo Ramelow. Auch bei vielen Sachthemen, z.B. bei der für uns so wichtigen Schulpolitik, gab es keinen Konsens zwischen den drei Partnern. So bestanden z.B. Bündnis 90/Die Grünen auf einen stärkeren Ausbau und der gleichberechtigten Förderung von Privatschulen. Auch sollte der Straßeninfrastruktur-ausbau für beendet erklärt werden. Das hieße das Aus für Projekte wie B 87 neu, B 19 neu und B 62 neu. Außerdem bestanden die Grünen auf ein sofortiges Neuverschuldungsverbot, was gerade in der Krise eine absolute Handlungsunfähigkeit des Freistaates zur Folge hätte.
Die Linke hat unter anderem bundespolitische Forderungen formuliert und verlangte von uns, dass wir gegen unsere Bundes-SPD die Abschaffung von Hartz IV, der Rente mit 67 und die Beendigung des Afghanistaneinsatzes durchsetzen. Das zeigt, dass die Linke gar nicht verstanden hat, dass wir den Freistaat Thüringen regieren wollten.
Wir haben, mit eurer Hilfe in den vergangenen Wochen sehr intensiv für einen Politikwechsel in Thüringen gekämpft. Einen Politikwechsel gestaltet man aber nicht mit irgendwelchen Farbspielchen und Parteienpräferenzen. Einen Politikwechsel muss man durch andere inhaltliche Entscheidungen und Gewichtungen erzielen. Willy Brand hat einmal gesagt: „Die ganze Politik taugt nichts, wenn sie den Menschen nichts nützt“. Vom Nutzen für die Parteien hat er nichts gesagt, aber einen Grundsatz der Sozialdemokratie begründet, der heute für uns um so mehr gelten muss. Wir haben die Verantwortung in den nächsten schwierigen Jahren, alles zu tun, was den Menschen in Thüringen nützt. Dazu braucht es mit Sicherheit eine handlungsfähige und stabile Regierung.
Die SPD ist für einen politischen Wechsel in Thüringen angetreten. Dieser Wechsel verlangt einen langen Atem. Neben der Notwendigkeit eines stabilen Bündnisses tritt die entscheidende Frage der Inhalte. Wir haben in der Sondierung mit der CDU viel mehr erreicht als mit den Linken und den Grünen. Wir können mit der CDU längeres gemeinsames Lernen bis Klasse 8 mit unserem Modell der Thüringer Gemeinschaftsschule fakultativ umsetzen, was die LINKE uns verweigert hätte. Wir haben gute Chancen, die Inhalte des Familien-Volksbegehrens in die Tat umzusetzen. Wir können eine innovative Wirtschaftspolitik einleiten und in der Krise Arbeitsplätze sichern. Ein Ausbau der Anwendung erneuerbarer Energien in Thüringen ist zugesichert, bis hin zur Prüfung von Kommunalisierung von Energieversorgungsnetzen. Die Kommunalfinanzen sollen genauso stabilisiert werden wie die Kulturfinanzen. Eine Debatte über die Schließung und Beschneidung von Theatern und Orchestern wird es in den nächsten fünf Jahren nicht geben. Ebenso konnten wir der CDU abringen, dass der Freistaat Thüringen sich über den Bundesrat für einen gesetzlichen Mindestlohn und die Angleichung der Renten von Ost und West einsetzt. Während wir die Zusage haben, dass Thüringen im Bundesrat keinen schwarz-gelben Steuergeschenken zustimmt. Insgesamt konnten wir in Verhandlungen mit der CDU ca. 80 % unserer zentralen Forderungen aus dem Wahlprogramm vereinbaren. Und diese Errungenschaften können auch in Koalitionsverhandlungen nicht mehr zurück genommen werden.
Die Bedingungen für einen Koalitionsvertrag mit klarer SPD-Handschrift sind also sehr gut.
Und so reifte während der Vorstandssitzung in mir die schwierige und schmerzliche Erkenntnis, dass ein Politikwechsel derzeit zuverlässig und seriös nur mit der gebeutelten Landes-CDU auf den Weg zu bringen ist.
Jetzt ist es an uns. Ich bitte euch um euer Verständnis, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt im Landesvorstand nicht anders entscheiden konnten. Neuwahlen hat darf für uns zu keinem Zeitpunkt eine Rolle spielen, darin sehe ich meinen Auftrag als aufrichtiger Demokrat.
Ich habe und werde diese Entscheidung mittragen und hoffe auf eure Unterstützung, dies den Menschen zu erklären. In der nächsten Zeit kommt es darauf an, dass wir zusammenstehen und den Menschen deutlich machen, welche Veränderungen WIR in der Landespolitik erreichen können.
Mit solidarischen Grüßen
Rolf Baumann, MdL
Mitglied des SPD Landesvorstands